Nach Hause, wo die Fruchtfliegen
sind, wo die dreckigen Teller in der Spüle, der brosamenübersäte
Tisch mit dem farbigen Papiertischtuch, die weiche Butter
im nicht mehr richtig arbeitenden Kühlschrank, der sich
nicht füllende Mülleimer, nachts und magisch der
blaue Schimmer von der Gasflamme im Boiler über der Wanne,
das fehlende Klopapier und die alten Zeitungen an seiner statt,
auf ozeanblauen Kacheln der cremeweiss-schwarze Nachtfalter,
die dünnen Beine in einen Himmel gereckt, den er nie
mehr durchschwirren wird, die tausendmal abgewanderten Meter
zwischen deinen zweieinhalb halbleeren Zimmern, in denen du
kein Versteck vor dir findest, immer wieder haltlos vor dem
Lavabo, versenkst deinen Blick im verschmutzten Abguss, wartest
darauf, dass etwas von dir abfällt, eine Spannung sich
löst, ein tonloses Dröhnen, zurück in die Küche,
über dem Tisch die knittrige, historische Rom-Karte,
Via di San Giovanni in Laterano ganz unten rechts, Porta Maggiore,
und wie du schon beim ersten Mal darauf bestanden hast, den
Fahrstuhl zu nehmen, hinter den schwarzen, staubgeschmückten
Gittermaschen, das vollkommen geräuschlos aus uneinsehbaren
Stockwerken herunterschwebende Stehzimmer, die holzgezimmerte
Kabine, klackende Türflügel, alles edel, alles zum
ewigen Anfassen, vor allem sie, zum ewigen Anschauen, aber
das lässt sich nicht sagen, das lässt sich jetzt
nicht einmal schreiben, im Nachtzug von Rom weg und beginnst
schon einen Brief, draussen erst Roma Tiburtina und du schon
über dem Papier, beginnst einen zweiten Brief, einen
dritten, kommst nie über die Anrede hinaus. Das hat mit
deiner Fahrtrichtung zu tun. Die der Fahrtrichtung eines Zuges
entgegengesetzt gerichtete Zuschrift zählt zu den schwierigsten
unter den ohnehin beinahe unmöglich gewordenen Liebesbriefen,
ich nehme den Lift eigentlich nie, sagt sie beiläufig
und zögert, funktioniert er nicht, fragst du verunsichert,
aber schon schliesst sie die Tür, du kümmerst dich
nicht um das Stockwerk, drückst einfach die Sieben, oberste
Etage, schliesslich soll der erste Kuss an ihrer Adresse ein
wenig dauern, eine stockwerkübergreifende Zungenumwindung,
eine Zugsverstrickung, Treno Notte, Nachtzug nach Basilea,
du scheiterst an der Leere hinter der Anrede, Marlen, schreibst
du, Komma, während das der Fahrtrichtung entgegengesetzte
Liebesschreiben als Verzweiflung gelten muss, so ist der mit
der Fahrtrichtung verlaufende Liebesbrief nur eine Lächerlichkeit,
erübrigt sich, jedenfalls meist und zu grossen Teilen,
weil er ja doch nicht eher ankommt als der erste Kuss und
dieser erste, egal wie sanft, abtastend, verunsichert er auch
sein mag, wie unselbständig ohne einen zweiten und dritten,
egal, jeder erste Kuss verheert und verschandelt einen mitgebrachten
Brief, verkleinert ihn zu einem Mitbringsel, das angesichts
des Kusses nur umständlich, künstlich und peinlich
wirken kann, eine verschriftlichte Begehrensversicherung,
die du aus dem Fenster des fahrenden Zuges in die vorbeipeitschende
Nacht entlässt, Marlen, Komma, und weg, die Strecke,
die gesamte Schottertrasse zwischen Basel und Rom wird bald
gesäumt sein mit diesen zu keinem Ende gekommenen Briefen,
und nun wieder Kleinbasel hinter dem schweren, niederen Fluss,
die sich gegen den Strom mühenden Frachtschiffe, und
hinten, in deinem Innenhof, der Steinmetz, die Sicht auf den
Umschlagsplatz der Grabsteine, dass einer fehlt, erkennst
du am Rechteck aus Steinstaub, das bleibt, mit deinem Tod
möchtest du niemandem zur Last fallen, auch dem Steinmetz
nicht, diesem schnauzbärtigen Handwerker, den du jüngst
dabei beobachtet, ertappt hast, wie er an einem Frauentorso
arbeitete, wie er seine Brotarbeit, die Grabsteine, beiseite
liess und sich um einen Frauentorso kümmerte, ein weiblicher
Körper, inmitten von unbearbeiteten, aber deutlich schon
Grabsteinform aufweisenden Steinen nimmt sich die Dame äusserst
verwegen und lebendig aus, fleischlich, wenn denn für
dich und deinen Tod ein Grabstein her müsste, so vielleicht
einen Frauentorso, überlegst du, aber jede Vorstellung
von einem Grab ohnehin unmöglich, es ist nicht das Grab
an und für sich, sondern seine Schwere, dass es sich
nicht bewegt, nur lastet, überall dort willst du begraben
werden, wo du warst und noch sein wirst, anstelle eines massigen
Grabsteines auf einem eingezäunten Gottesacker, von dem
sogar die arglosen Krähen verscheucht werden, willst
du für jeden deiner Grabstätten einen kleinen Kieselstein,
deine Initialen fein eingeritzt, und überall hin dann
diese Steine verstreut, so fein die Buchstaben, dass bald
Wind und Wetter die Gravur weggewischt haben und der Kiesel
unbelastet von deinem Tod weiter tun kann, wozu er gut ist,
dein Idealbild vom Tod, vom Wegsterben, ein beiläufiges
Verscharrtwerden auf einer halbschattigen Brache, für
die sich kein Landwirt je interessiert, wo der Jäger
nicht pirscht, kein Hund schnüffelt, nur Rotwild, im
äussersten Fall, das versonnen am Waldsaum steht und
in die Dämmerung blickt.
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