Ludwig Hohl verfügt über
ein franc parler, das sich dem Anlass seines Schreibens nur
kurz annähert, sich nicht länger als eine Berichtigung
oder eine Kritik in dessen Univers aufhält, dann sogleich
wieder – erregt, ungerührt – zu sich selber
zurückkehrt.
Es ist, als befände sich das Magnetische, Interesse-Erweckende,
der zu der jeweiligen Notiz führende Anlass in einer
Sphäre, welche der Autor aus einer Grundsatzentscheidung
heraus nur streifen möchte. Rasch n’Blick aus’m
Monadenfenster, dann gleich back to the roots of the own self.
Mag das ein erkenntnistheoretischer Nachteil sein, so macht
es doch den Augenblick deutlich, worin das denkende Subjekt
auf seinen Arbeits-Anlass stösst, verdeutlicht die Zeitspanne,
über welche das selbe Subjekt in den Fängen des
magnetisch-fremden Sujets sich quält, erklärt schliesslich
die kräftige Wortwahl, womit es seine Qual quittiert.
Hohl, als Denker und Philosoph gesehen, ist womöglich
ein Autobiograph, der entweder kein anderes Leben zu zeigen
hat als ein Denken oder seine Lebensdetails kurz vor der Preisgabe
in Fragen des intellektuellen Überlebens verwandelt und/oder
stilisiert.
Jede Notiz, so die These, ist ein Ausbruchsversuch aus der
Autobiographie in die Splitter einer Fremdbiographie, an der
zwar einiges zurechtgerückt wird, die aber unter dem
Dauervorwurf steht, nicht die von Hohl selber zu sein.
Neben Lektüre als Anlass scheint immer auch Triviales,
Allzumenschliches Hohl anzutreiben, dies aber ist kaschiert,
sodass es nur vermutet werden kann; allerdings ist kaum ein
anderer Schluss möglich bei Betrachtung der oft einigermassen
überraschenden Themenwahl; kaum kehrt eine Notiz nach
einem klassischen sally-out, einer kurzen Beutefahrt, wieder
zu Hohl zurück, schlägt die nächste in ganz
andere Richtung zu; dies unermüdlich, impulsiv, aggressiv,
aber auch, als fühlte sich der Verfasser von seinem Gegenstand
angegriffen und verteidigte sich mit dem Angriff auf einen
neuen. Verteidigung und Angriff lassen sich in der Tat kaum
unterscheiden.
Hohl erscheint, kurz gesagt, als extrem gross-klein, ohne
mittlere Dimension, die auch unter dem Namen Mässigung
oder Mittelmass läuft.
Die Transposition sämtlicher Alltagsvorgänge in
solche des Denkens, Schreibens, der Kritik usw. ist einerseits
arretiert-solide, will sagen, der Blick schnellt nicht plötzlich
zurück auf das Allzupersönliche, Allzualltägliche,
doch wirkt der Vorgang irgendwie durchsichtig; der Leser steht
gleichsam unter Zwang, den höher strebenden Gedankenflügen
ihren konkreten Anlass nachzutragen: Hohls Exkurse verweisen,
ohne ihn zu nennen, ohne dass er erratbar würde, auf
ihren point de départ, nämlich den Tag, wie er
ist.
Das Tagebuch der Sinnsätze behält wesentliche Eigenschaften
eines Stundenbuchs, ein Teil der Hohlschen Präzision
verdankt sich vermutlich der Empfindlichkeit für den
jeweiligen Gesamtzustand des Schreibenden bei einem Notizenanfang.
Der Gesamtzustand wird zwar transzendiert, west aber in der
Überschreitung unverändert notleidend weiter.
Hohl, der oft Didaktische, fast gewaltsam zu seiner Ansicht
und dem Steilhang seiner Ideale Bekehrende, ruft vielleicht
eher schmerzliche Empathie hervor, nicht geradezu Mitleid,
aber doch ein persönliches Mitgefühl für seine
Aporie – keiner der von ihm gesehenen Schreib- und Existenzfehler
ist jemals behebbar – zweitens für seine Befriedigungslosigkeit
– keiner seiner geäusserten Ideal-Wünsche
geht jemals in Erfüllung – drittens für seine
geringe Reichweite – die getadelte Person ist weder
zugegen, noch würde sie, wäre sie es, auf den Hohlschen
Tadel reagieren; was, wie überall, der Natur dieses Tadels
anzusehen ist.
Die Interventions-Lust ist gross; das dazu erforderliche Selbstwertgefühl
klein. In der Gesamt-Aesthetik wirkt sich das dahingehend
aus, dass Hohl immer den Eindruck erweckt, er verbeisse sich
in den ihm gerade vorliegenden Einzelfall und gehe ganz in
dessen zu verfertigenden Notiz auf. Die Möglichkeit selbst
einer bescheidenen Serialisierung wird nie ergriffen.
Serialisierung ist aber real vorhanden, denn Notiz folgt auf
Notiz folgt auf Notiz. Die Serialisierung wird aber nie als
Konzept verwendet, z.B. mit einer lockeren Überschrift:
15 Bemerkungen zum Schweigen. Konventioneller argumentiert:
Hohl hat zweifellos Stil, aber er stellt Stil nie, quasi separat
und für sich genommen, als eine Errungenschaft vor. Im
Gebiet der Notiz, des Notats rammt er keine Pfähle ein,
welche es als seinen Claim und seine Goldgrube ausweisen.
Der Notator Canetti, im Vergleich, geht conquistadorischer
vor, man liest dort zwar auch Notizen, aber in allen ist das
Markenzeichen Canetti eingebrannt. Er baut sich auf, dort
wo Hohl sich eher wegduckt. Darum: Canetti, der in seiner
Selbsteinschätzung ohnehin unerschüttert präsent
ist, greift zum ruhigen, gelassenen, gemessenen Tonfall, Hohl,
der in eigener Auffassung ständig vor sich selber verschwindet,
(Verschwinden als Endstadium der Selbstverkleinerung), benötigt
das Raunzen, eine Gebrüll nicht scheuende Betonungs-Attitüde,
welche bei Lektüre letztlich zum nicht weiter begründbaren
Surplus – Mehrwert oder Ballast – wird.
Nicht der Grundton, aber der Grundgestus Hohls ist jener der
vorweggenommenen Ergebnislosigkeit jeder Kulturbemühung;
es ist, als intensiviere er seine Verbesserungsanstrengungen
an anderen aus schlechtem Gewissen über diese Einsicht;
die tadelnde Erhebung des Tons, sein schriftliches Brüllklagen
meinen vermutlich nicht die Fehlerhaftigkeit des Inkriminierten,
sondern richten sich an die Fehlerhaftigkeit als Existenzbedingung;
Hohls Heroismus streicht, als wär Leben Schulaufsatz,
jeden Schnitzer am Rand an und leidet darunter, dass ihm nach
hunderten Seiten immer noch einige entgehen.
Kleine und deswegen übersehene Fehler will Hohl, als
gründlicher und oft weniger philosophischer denn pragmatischer
Beobachter, an jeder Einzelheit nachweisen.
Einzelheiten aber findet man im Alltag, oder: es suggeriert
eine Serie fein aus ihrem Zusammenhang gelöster Einzelphänomene
so etwas wie tägliches Erleben; eben dieser Perlenschnur
des Unzumutbaren sowie des – Realität eben! –
zufällig, wie hingeworfenen und manchmal surreal Zusammengefügten
fährt Hohls Kommentarprozess nach. Man darf vermuten,
dass die Wildheit in Hohls Kommentargestus auch seine Themenwahl
leitet: man weiss oft nicht, warum eine Notiz auf die vorangegangene
folgt, aber die wilde Suche nach dem neuen Thema teilt sich
sogleich mit.
Hohls Unternehmen ›Notizen‹ ist grossdimensioniert,
ein Lebensbegleiter. Eigentümlich und auffällig
dabei die sprachliche Fassung: ein alles zusammenklammernder,
etwa auf Ausguck-Niveau angehobener, das Disparate der Beobachtungen
vereinheitlichender Stil will nicht zustande kommen, wird
offenbar weder gesucht noch auch als notwendig empfunden.
Wer die Notizen liest, dessen Aufmerksamkeit wird wesentlich
stärker auf Hohl gelenkt als auf Sprache. Die Bemerkungen,
zum Beispiel, über das Schweigen sind reichlich, an Angebot
fehlt es nicht. Wittgenstein, beleidigend knapp, bildete einen
weltberühmten, klassischen, für alle Zeiten stehenden
Satz. Worüber man nicht … peng … der Rest
ist eben das, worüber man nicht ...
Es ist – paradoxe Feststellung –, als erkenne
der Autor seine wichtigste Gattung nicht als Gattung an, als
müsse das Wesen der Notiz, das Zettelige, Kritzelnde,
Hingeworfene, aleatorisch im bloc notes Festgehaltene eben
auch in der Zusammenstellung seine ästhetische Erscheinungsform
behalten.
Nicht zu einem eigenwilligen, durch eigenen Stil getragenen
Gesamtdiskurs soll sich die Sammlung fügen, sondern es
soll möglichst, auch nach Hunderten von Seiten, der Notatcharakter
erhalten bleiben: die Einzeläusserungen verweigern den
Zusammenschluss zu einer übergeordneten Totalen, und
es ist davon auszugehen, dass das ästhetisch so geplant
ist, auch wenn es manchmal wie Ungenügen daherkommt.
Hohl scheint sich durch permanentes Aufbrechen längerer
Text-Fortsetzungs-Linien jener Pose zu verweigern, in deren
Licht (oder Schutz) er sich begab: jener des kreisum und der
Reihenfolge nach alles erhellenden philosophischen Leuchtturms,
des sich die letzten noch fehlenden Bildungsreste aneignenden
Privat-Omniszienten.
Da gerade die Omniszienten, oft Glaubensfürsten, zu den
prominenten Objekten seiner Kritik gehören, ist es nur
natürlich, dass er sein Werk anders formiert, als ers
bei seinen Vorgängern und Gescholtenen liest; dies könnte
mit ein Grund sein für die Auffälligkeit, dass Hohls
Blick nie waagrecht auf das Objekt seiner Debatte fällt,
sondern (allzu?) oft schräg von unten herauf, aus der
im vornherein festgelegten Position des Underdogs heraus,
in welcher er offenbar am besten arbeitet – und welche
logischerweise das Knurren aus der Hütte erlaubt.
Möglicherweise vergibt er sich dadurch etwas, denn seine
Kommentare werden ihm nicht automatisch als Überlegenheit
über den Kommentierten angerechnet, wie das bei einer
entsprechenden strategischen Ausrichtung geschähe.
Er ist das Gegenteil von herablassend, sorgt im Gegenteil
dafür, dass sein Gegenstand – wie der Berg auf
den Steiger – immer ein wenig auf ihn hinunterblicken
darf; sicher sorgt er da für seinen weiteren Antrieb;
es scheint ihn in die nächste Notiz zu treiben, konserviert
der Tonlage aber ihre Bitterkeit, Enttäuschung, Bissigkeit,
seltener, elegische Resignation.
Im Augenblick wo er vor sich hin murmelnd den letzten vollen
Bogen von seiner berüchtigten Wäscheleine nahm –
die gespannte Schnur als extravagante Literaturhelferin; erst
das fertig Geschriebene wird an den Roten Faden gehängt
–, hatte er, zur Rettung seines durch Fremdlektüre
bedrohten Ichs, sein Hauptwerk angezettelt. Es war so aufhörens-unfähig
wie das von ihm kritisch Kommentierte. Indem er mit Vorliebe
die Welt der Weltverbesserer verbesserte, schuf er eine abermals
bessere Welt, deren Güte er nun endgültig nicht
mehr trauen konnte.
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